Über weiter_erzählen

 _erinnern.at_ versammelt in wissenschaftlicher Kooperation mit dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus im online Archiv weiter_erzählen Video-, vereinzelt Audiointerviews mit Verfolgten des Nationalsozialismus. Die Berichte sind verschlagwortet, verschiedenen Themen und Orten zugeordnet, sequenziert und somit gut durchsuchbar. Manche dieser Interviews werden erstmals frei im Internet, in voller Länge und erschlossen zugänglich gemacht. Unter ihnen befinden sich mehrere Gespräche mit einem oder einer Interviewten aus verschiedenen Jahrzehnten. Dies erlaubt Nutzer*innen, verschiedene Zeugnisse derselben Person zu vergleichen. Diverse Institutionen und Privatpersonen haben diese Quellen in den vergangenen Jahrzehnten produziert und _erinnern.at_ nun Kopien zur Verfügung gestellt. Die Video- und Audiodateien wurden nach kuratorischen Kriterien gesichtet und zum Teil für die Veröffentlichung bearbeitet. Die Interviewsammlung soll dazu einladen, sich in sie zu vertiefen, sie zu durchsuchen und sich auf lebensgeschichtliche Erzählungen einzulassen. Sie wurde aus Mitteln des Bundeskanzleramts finanziert und wird aktuell vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus weiter gefördert.

Nach welchen Kriterien werden die Interviews für dieses Archiv ausgewählt?

weiter_erzählen versucht, möglichst verschiedene NS-Verfolgte, die einen Bezug zu Österreich haben, zu Wort kommen zu lassen. Es gibt jedoch nicht von allen Gruppen gleichermaßen viele Videointerviews, und sie sind auch nicht gleichermaßen gut zugänglich. Wir zeigen Interviews, die noch mehr Öffentlichkeit bekommen, rezipiert, in der Bildung und Forschung verwendet werden sollten und möchten auf längst bestehende Sammlungen aufmerksam machen. Zudem ist es weiter_erzählen ein Anliegen, zu zeigen, wie vielfältig das Medium des Videointerviews ist, wie divers Interviewtechniken, Gestaltung, Produktionsbedingungen und Erzählformen sind. Dieses Projekt würdigt zum einen die Verfolgten, die ihre Geschichten und die ihrer ermordeten Verwandten und Freund*innen, trotz ihrer Verletzungen und gegen gesellschaftliche Widerstände, erzählten und gespeichert wissen wollten. Sie ergriffen oft selbst die Initiative, um Zeugnisse und Berichte für die Nachwelt aufzunehmen, zu speichern und zu sichern und millionenfachen Mord zu bezeugen. Dieses Archiv würdigt aber auch die Disziplin der Oral History, professionelle und nicht professionelle Interviewer*innen, Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen, Journalist*innen und Filmemacher*innen, die mit Videointerviews in den vergangenen Jahrzehnten einen bedeutenden Quellenschatz geschaffen haben. Es ist auch dem Engagement all dieser Akteur*innen und den von ihnen produzierten Dokumenten zu verdanken, dass die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung gesellschaftlich erinnert wird.

Nach welchen Kriterien wurden die Videos und Audiodateien bearbeitet?

Bei manchen Interviews aus den Sammlungen  "Lichtblau; Ecker-Angerer; Rothauer; John",  Archiv für Gesprochenes Deutsch / Anne Betten, _erinnern.at_ , Werner Sulzgruber und dem Zentralkommitee der österreichischen Juden in Israel wurden Farbe, Ton oder Bildausschnitte korrigiert sowie zurückhaltend geschnitten. weiter_erzählen versucht, das ganze, aufgenommene Interview zur Verfügung zu stellen, es aber technisch zu verbessern, um das Hören und Sehen des Dokuments zu erleichtern. Passagen, die sehr privat sind und offenbar nicht für eine breite Öffentlichkeit und Zugänglichkeit im Internet bestimmt waren sowie Aussagen über Dritte wurden aus den Berichten entfernt.

Warum sind Audio- und Videointerviews wichtige Quellen und Medien für Forschung und Bildung?

Oral History Interviews und biografische Erzählungen sind bei der Erforschung und Vermittlung der nationalsozialistischen Verbrechen bedeutende historische und sozialwissenschaftliche Quellen, weil sie das Wissen und die Perspektive der Verfolgten vermitteln. Angehörige von SA (Sturmabteilung), SS (Schutzstaffel), nationalsozialistischer Polizei, Militär und Verwaltung dokumentierten ihre Teilhabe an der Verfolgung und Massenmorden oft bewusst nicht, sie beschönigten und verschleierten Sachverhalte. Sie vernichteten mitunter schriftliche Quellen. Und: Von Täter*innen produzierte Schriftstücke vermitteln eben diese Perspektive – die der Täter*innen. Audio- und Videointerviews mit Verfolgten des Nationalsozialismus erlauben es Nutzer*innen, auch zu hören, wie die Interviewten vor und nach der nationalsozialistischen Verfolgung lebten, wen und was sie verloren haben und wie sie über ihre Erfahrungen im Nachhinein denken. Viele der in Österreich geborenen Zeitzeug*innen mussten fliehen oder wanderten nach ihrer Befreiung aus, Zwangsarbeiter*innen wurden dagegen während des Zweiten Weltkrieges nach Österreich verschleppt. Die Tatsache der häufig unter Zwang vollzogenen Migration zeigt sich auch an den Intervieworten der im Archiv versammelten Berichte: Die Gespräche wurden oft in den Ländern aufgezeichnet, wo die Zeitzeug*innen nach dem Zweiten Weltkrieg lebten. Neben den in Österreich und Deutschland aufgenommenen Zeugnissen haben viele der Interviewten in Großbritannien, in Israel, der Ukraine, Ungarn und den USA vor der Videokamera oder neben dem Aufnahmegerät erzählt. Beim Sehen und Hören dieser Quellen können Nutzer*innen auch Rückschlüsse darauf ziehen, wie etwa die Atmosphäre und die Stimmung bei den am Gespräch Beteiligten war. Tonfall, Gestik, Mimik, Einflüsse von außen auf das Geschehen sind in diesen Dokumenten hör- oder sichtbar. War die Familie anwesend? Wie sieht der Raum aus, in dem das Gespräch stattfand? Wie gut entspann sich die Unterhaltung zwischen Interviewer*in und dem oder der Zeitzeug*in? Eine weitere Frage ist, ob es Bezüge zum aktuellen politischen Geschehen zur Zeit der Erzählung gibt. Diese Quellen erlauben es, diese und viele weitere Sachverhalte zu analysieren.